SPEAKING BACK

Davi muitalusaid dekoloniseren
Decolonizing Nordic Narratives

Foto 1: Marja Helander, Birds In The Earth, Filmstill, 2018
Foto 2: Annika Dahlsten & Markku Laakso, Koskivuononvaara, Inari, 2011
Foto 3–11: SPEAKING BACK, Installationsansichten, Kunsthaus Hamburg, 2023, Fotos: Hayo Heye


SPEAKING BACK
Davi muitalusaid dekoloniseren
Decolonizing Nordic Narratives

3. Juni – 1. Oktober 2023
Kunsthaus Hamburg

Ausstellungsbroschüre

Manuskript des Künstlerinnengesprächs mit Hannimari Jokinen


Muitaliigo dunnje aktage / ahte mii orrut Sámieatnamis / Dajaigo son /
ahte dát lea Sápmi / Dovddastiigo maiddái / ahte dát lea min / Ii suige fal hupman /
primitiiva kultuvrra / aktageardánis olbmuin / ii suige fal dadjan /
ahte sii bukte čuvgehusa

Wurde Dir erzählt / dass wir in Sapmi leben / wurde gesagt / dass dieses Samenland ist /
wurde zugegeben / dass uns das Land gehört / Hoffe da war kein Gerede /
von einer primitiven Kultur / von einem einfachen Volk / hoffe niemand behauptete /
dass sie uns Zivilisation gebracht

(Nils-Aslak Valkeapää: Giđa ijat čuovgadat, Des Frühlings Nächte so hell, 1980)


Mit den Künstler*innen Sissel M. Bergh, Annika Dahlsten & Markku Laakso, Marja Helander, Minna Henriksson, Hannimari Jokinen, Marjo Levlin, Britta Marakatt-Labba, Katarina Pirak Sikku, Hilde Skancke Pedersen, Outi Pieski

SPEAKING BACK ist ein Kunst- und Rechercheprojekt, das sich mit Kolonialismus im europäischen Norden und seinen historischen und heutigen Bezügen zu Deutschland beschäftigt. Im Rahmen der aktuellen Bemühungen, deutsche Institutionen und Museen zu dekolonisieren, werden die verheerenden Auswirkungen des Kolonialismus auf die Samen und andere Minderheiten im nordeuropäischen Raum oft übersehen. Aus Perspektiven der Kunst und Wissenschaft widmet sich das Projekt einem komplexen und ethisch sensiblen Feld. SPEAKING BACK zeigt rassistische Strukturen des kolonialen Überlegenheitsanspruchs auf und macht deutlich, wie weit verbreitet diese noch heute in Denkmustern und Handlungsweisen der Mehrheitsgesellschaft nachwirken.

„Rassentheorien“ und damit einhergehend das Gesellschaftsmodell der nordischen “Wohlfahrtsstaaten” führten sowohl zur Ausgrenzung von Minderheiten als auch zu einer erzwungenen Assimilation, d. h. zur Anpassung an die Sprache, das Wissen und die Werte der Mehrheitsgesellschaft. Insbesondere den Samen wurden ihre Landrechte und damit ihre Lebensgrundlage entzogen. Samische Kinder wurden von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt und zwangsweise in Internaten untergebracht. Das kulturelle Erbe der Samen wurde von Abenteurern, Sammlern und Forschern für Europas Museen geraubt. Auch wenn die samische Bevölkerung in mancher Hinsicht eine Verbesserung für ihre Position erreichen konnte, bleiben grundlegende Fragen ihrer Selbstbestimmung ungelöst. Noch heute werden Menschen- und Landrechte der Samen verletzt, wenn die nordischen Staaten Konzessionen an Bergbauunternehmen vergeben, die Ökosysteme und Lebensgrundlagen der Samen unwiederbringlich zerstören.

In der Ausstellung SPEAKING BACK setzen sich samische und nicht-samische Künstler*innen mit dem kolonialen Erbe der nordischen Länder kritisch auseinander. Sie beleuchten die Verbindungslinien zu deutschen Museen sowie zum allgemeinen Kontext der Kolonialgeschichte. Einige von ihnen waren im Rahmen des Projekts zu Residencies eingeladen und konnte so in deutschen, finnischen, norwegischen und schwedischen Archiven und Museen recherchieren. In Form von Skulpturen, Videoinstallationen, Textilarbeiten, Fotografien und Zeichnungen wenden sich ihre Werke gegen den kolonialen Blick, gegen Plünderung, Vertreibung und die Instrumentalisierung der Natur als Ressource. Dabei visualisieren sie Möglichkeiten und Strategien von Widerstand, Perspektivwechsel und Selbstermächtigung.

Die Ausstellung im Kunsthaus Hamburg wird durch eine zweite Ausstellung erweitert, die im September im Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) eröffnet wird. Im Rahmen von SPEAKING BACK hat das Museum seine Sammlungsbestände und Archive für künstlerische Recherchen der samischen Gäste zugänglich gemacht. Das MARKK beherbergt eine der größten Sammlungen samischer Kulturgüter in Deutschland und stellt damit einen wichtigen Bezugspunkt für das Projekt dar. Neben solchen Objektbeständen in deutschen Museen finden sich in anthropologischen Sammlungen bis heute noch Gebeine finnischer und samischer Herkunft. Schließlich führen Spuren der Hamburgischen Kolonialgeschichte in den Tierpark Hagenbeck. Vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre veranstaltete der Zoodirektor und Tierhändler Carl Hagenbeck hier seine rassistischen „Völkerschauen“. Es waren samische Darsteller*innen, die in der allerersten dieser herabwürdigenden Inszenierungen auftraten. Ihnen folgten die vielen nicht-europäischen Teilnehmenden, die im Rahmen vorgegebener Showeinlagen agieren mussten.

Die Ausstellung SPEAKING BACK will eine kritische und verantwortungsvolle Debatte über Deutschlands koloniales Erbe anregen. Ein umfangreiches Begleitprogramm gibt die Gelegenheit der kritischen Auseinandersetzung im Kontext.

Kuratorinnen: Áile Aikio, Hannimari Jokinen und Katja Schroeder.
Die Ausstellung im MARKK wird in enger Zusammenarbeit von Dr. Anna Sophie Laug kuratorisch verantwortet.

In Kooperation mit


Ausstellungsrundgänge
Samstag, 3. Juni 2023, 15 Uhr
Donnerstag, 8. Juni und 22. Juni 2023, 18 Uhr
Sonntag, 18. Juni und 2. Juli 2023, 15 Uhr

Rahmenprogramm 
Samstag,  3. Juni 2023, 16 Uhr
Lecture Performance: Minna Henriksson

Donnerstag, 15. Juni 2023, 19 Uhr
Künstleringespräch: Hannimari Jokinen

Donnerstag, 22. Juni 2023, 19 Uhr
Vortrag: Anne Heith 

Donnerstag, 29. Juni 2023, 19 Uhr
Film: Eatnameamet – Our Silent Struggle von Suvi West

Sonntag, 10. September 2023, ab 12 Uhr im Kunsthaus Hamburg (ab 14 Uhr im MARKK)
Ausstellungsgespräch mit den Kuratorinnen

Dienstag, 12. Oktober 2023 (MARKK)
Indigenous gaming and programming: Vortrag/Workshop mit Outi Laiti


Das Projekt wird gefördert durch: Nordic Council of Ministers’ Culture and Art Programme, Nordic Culture Fund, Bundesprogramm “Neustart Kultur” der Stiftung Kunstfonds, NUE-Stiftung (Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung) aus Erträgen von BINGO! Die Umweltlotterie, Norwegische Botschaft, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Nordkirche, Finnland-Institut.