Annika Dahlsten & Markku Laakso, Koskivuononvaara, Inari, 2011
Speaking Back – Decolonizing Nordic Narratives
3. Juni – 1. Oktober 2023 (Kunsthaus Hamburg)
8. September 2023 – 28. Januar 2024 (Museum am Rothenbaum –
Kulturen und Künste der Welt (MARKK))
Muitaliigo dunnje aktage / ahte mii orrut Sámieatnamis / Dajaigo son /
ahte dát lea Sápmi / Dovddastiigo maiddái / ahte dát lea min / Ii suige fal hupman /
primitiiva kultuvrra / aktageardánis olbmuin / ii suige fal dadjan /
ahte sii bukte čuvgehusa
Wurde Dir erzählt / dass wir in Sapmi leben / wurde gesagt / dass dieses Samenland ist /
wurde zugegeben / dass uns das Land gehört / Hoffe da war kein Gerede /
von einer primitiven Kultur / von einem einfachen Volk / hoffe niemand behauptete /
dass sie uns Zivilisation gebracht
(Nils-Aslak Valkeapää: Giđa ijat čuov’gadat, Des Frühlings Nächte so hell, 1980)
Mit den Künstler*innen Sissel M. Bergh, Annika Dahlsten & Markku Laakso, Minna Henriksson, Hannimari Jokinen, Marjo Levlin, Britta Marakatt-Labba, Katarina Pirak Sikku, Hilde Skancke Pedersen, Outi Pieski
SPEAKING BACK ist ein Kunst- und Rechercheprojekt, das sich mit Kolonialismus im europäischen Norden und seinen historischen und heutigen Bezügen zu Deutschland beschäftigt. Im Rahmen der aktuellen Bemühungen, deutsche Institutionen und Museen zu dekolonisieren, werden die verheerenden Auswirkungen des Kolonialismus auf die Samen und andere Minderheiten im nordeuropäischen Raum oft übersehen. Aus Perspektiven der Kunst und Wissenschaft widmet sich das Projekt einem komplexen und ethisch sensiblen Feld. SPEAKING BACK zeigt rassistische Strukturen des kolonialen Überlegenheitsanspruchs auf und macht deutlich, wie weit verbreitet diese noch heute in Denkmustern und Handlungsweisen der Mehrheitsgesellschaft nachwirken.
„Rassentheorien“ und damit einhergehend das Gesellschaftmodell der nordischen “Wohlfahrtsstaaten” führten sowohl zur Ausgrenzung von Minderheiten als auch zu einer erzwungenen Assimilation, d. h. zur Anpassung an die Sprache, das Wissen und die Werte der Mehrheitsgesellschaft. Insbesondere den Samen wurden ihre Landrechte und damit ihre Lebensgrundlage entzogen. Samische Kinder wurden von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt und zwangsweise in Internaten untergebracht. Das kulturelle Erbe der Samen wurde von Abenteurern, Sammlern und Forschern für Europas Museen geraubt. Auch wenn die samische Bevölkerung in mancher Hinsicht eine Verbesserung für ihre Position erreichen konnte, bleiben grundlegende Frage ihrer Selbstbestimmung ungelöst. Noch heute werden Menschen- und Landrechte der Samen verletzt, wenn die nordischen Staaten Konzessionen an Bergbauunternehmen vergeben, die Ökosysteme und Lebensgrundlagen der Samen unwiederbringlich zerstören.
In der Ausstellung SPEAKING BACK setzen sich samische und nicht-samische Künstler*innen mit dem kolonialen Erbe der nordischen Länder kritisch auseinander. Sie beleuchten die Verbindungslinien zu deutschen Museen sowie zum allgemeinen Kontext der Kolonialgeschichte. Einige von ihnen recherchieren im Rahmen des Projektes in deutschen, finnischen, norwegischen und schwedischen Archiven und Museen. In Form von Skulpturen, Videoinstallationen, Textilarbeiten, Fotografien und Zeichnungen wenden sich ihre Werke gegen den kolonialen Blick, gegen Plünderung, Vertreibung und die Instrumentalisierung der Natur als Ressource. Dabei visualisieren sie Möglichkeiten und Strategien von Widerstand, Perspektivwechsel und Selbstermächtigung.
Die Ausstellung im Kunsthaus Hamburg wird durch eine zweite Ausstellung erweitert, der im September im Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) eröffnet wird. Das MARKK beherbergt eine der größten Sammlungen samischer Kulturgüter in Deutschland und stellt damit einen wichtigen Bezugspunkt für das Projekt dar. Neben diesen Objektbeständen deutscher Museen finden sich in anthropologischen Sammlungen aber auch bis heute noch Gebeine finnischer und samischer Herkunft. Schließlich führen Spuren der Hamburgischen Kolonialgeschichte in den Tierpark Hagenbeck. Vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre veranstaltete der Zoodirektor und Tierhändler Carl Hagenbeck hier seine rassistischen „Völkerschauen“. Es waren samische Darsteller*innen, die in der allerersten dieser herabwürdigenden Inszenierungen auftraten. Ihnen folgten die vielen nicht-europäischen Teilnehmenden, die im Rahmen vorgegebener Showeinlagen agieren mussten.
Die Ausstellung SPEAKING BACK will eine kritische und verantwortungsvolle Debatte über Deutschlands koloniales Erbe anregen. Dabei werden insbesondere dekoloniale Strategien des Widerstands und der Selbstermächtigung vorgestellt. Ein umfangreiches Begleitprogramm gibt die Gelegenheit der kritischen Auseinandersetzung im Kontext.
Kuratiert von Áile Aikio, Hannimari Jokinen and Katja Schroeder (im Kunsthaus) und Anna-Sophie Laug (im MARKK)
Das Projekt wird gefördert durch: Nordic Council of Ministers’ Culture and Art Programme, Nordic Culture Fund, Bundesprogramm “Neustart Kultur” der Stiftung Kunstfonds, NUE-Stiftung (Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung) aus Erträgen von BINGO! Die Umweltlotterie, Norwegische Botschaft, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Nordkirche.