Einführung „Danke, wir brauchen nichts!“

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Ausstellungsansicht „Danke, wir brauchen nichts!“, Foto: Hayo Heye

Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung „Danke, wir brauchen nichts!“ am 11. Juli 2016 von Prof. Dr. Heike Derwanz

Wir opfern Lebenszeit, Energie und viele Ressourcen, um in den Besitz von Dingen zu kommen, schreibt der Ethnologe Hans Peter Hahn. (1) Die Gier nach dem Materiellen wird in den Weltreligionen als menschlicher Zug gesehen, welcher in machen Situationen übermächtig wird. Man denke hier nur an den Sommerschlussverkauf, Kunstauktionen oder Erbschaftsstreitigkeiten. Der Soziologie Zygmund Baumann sagt, dass der moderne Mensch den Moment des Erwerbs, also den Kauf selbst, als Glück empfindet. (2) Das Vorzeigen des Besitzes im richtigen Moment und die richtige Kombination der Dinge sind ein Statusbeweis, wie Pierre Bourdieu gezeigt hat. (3) Der Besitz von Dingen macht uns selbstbewusst. Unsere Identität beschreiben wir aus dieser Perspektive oft damit, wie groß unser Haus ist, wie groß das Auto oder der begehbare Kleiderschrank.

In seinem Buch Walden, or life in the woods beschreibt Henry David Thoreau 1845 die Gegenperspektive (4):

„Die größten Gewinne und Werte sind am weitesten davon entfernt, geschätzt zu werden. Wir zweifeln leicht daran, dass sie überhaupt existieren. Wir vergessen sie schnell. Sie sind die höchste Wirklichkeit. Vielleicht werden die staunenswertesten, wirklichsten Tatsachen niemals von dem Menschen dem Mitmenschen kundgetan. Die wahre Ernte meines Lebens ist etwas so Ungreifbares, Unbeschreibbares, wie die Tinten des Morgen- und Abendhimmels – ein wenig eingefangener Sternenstaub, ein bisschen Niederschlag von dem Regenbogen, den ich umklammert hielt.“ (4: S. 226)

Walden ist heute wieder sehr populär und wird häufig zitiert. Jede Generation scheint dieses Buch wieder entdecken zu wollen. Es zeigt das einfache Leben und die Suche nach dem Einfachen und Ursprünglichen:

„Gegen Ende März 1845 borgte ich mir eine Axt, ging hinunter in den Wald zum Waldenteich, und in der Nähe des Platzes, an dem ich mir ein Haus zu bauen beabsichtigte, fing ich mit dem Schlagen einiger hochaufgeschossener, noch junger Weißtannen an, die mir zu Bauholz dienen sollten. Es ist schwer anzufangen ohne zu borgen, vielleicht ist es aber das gro.mütigste Verfahren, weil es unserem Mitmenschen gestattet, sich für unser Unternehmen zu interessieren. Als der Eigentümer der Axt dieselbe aus der Hand ließ sagte er, sie sei sein Augapfel; ich gab sie aber später schärfer zurück, als ich sie empfing. Es war ein lieblicher, mit Nadelholz bestandener Hügelhang, auf dem ich arbeitete; durch die Tannen sah ich hinaus auf den Teich und ein kleines, offenes Feld im Gehölz, wo Fichten und weiße Walnußbäumchen sproßten. Das Eis im Teich war noch nicht geschmolzen, nur von einigen offenen Stellen unterbrochen, überall aber sah es dunkel und von Wasser gesättigt aus. Es waren schöne Frühlingstage, an denen der Winter der menschlichen Unzufriedenheit zugleich mit der Erde auftaute und das in regungsloser Trägheit daliegende Leben anfing sich zu recken und zu dehnen.“ (4: S.44f)

Aus diesen Sätzen Thoreaus spricht die Erleichterung, viele Dinge hinter sich gelassen zu haben, wie es die Weltreligionen aufzeigen und Klöster erlebbar machen. Die Empfindung, in Zeiten des Wohlstands innehalten zu wollen und den weltlichen Besitz zu ordnen oder zu verkleinern, ist alt und zieht sich durch viele Kulturen.

Die Ausstellung Danke, wir brauchen nichts! zeichnet diese Überlegungen nach und deutet auf die ambivalente Beziehung des Mängelwesens Mensch zu seinem Besitz hin. (5) Denn „Danke, wir brauchen nichts!“ spricht auch aus einer elitären, gesättigten Position heraus. Es kann nicht nur demütig und bescheiden klingen, sondern eben auch verächtlich: danke, von Ihnen brauche ich nichts!

Und dabei ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir als Kulturschaffende immer auf zwei Seiten stehen:

  1. Wir sind als Konsumierende täglich Teil einer Konsumgesellschaft, die bereits seit fünfzig Jahren eine Überflussgesellschaft ist. Zum Gedeihen unseres Wirtschaftswachstums ist es unsere Pflicht als BürgerInnen zu konsumieren.
  2. Wir Kulturschaffende produzieren nicht nur durch kulturelle oder künstlerische Arbeit kulturelle Werte, sondern auch Dinge. Kunstobjekte als Besitztümer haben das höchste Prestige, welches unsere Gesellschaft kennt.

Oder wir müssten radikal umdenken.

Das Thema der Jahresausstellung „Danke, wir brauchen nichts!“, hat unter den Hamburger Mitgliedern des Berufsverbandes ein großes Echo hervorgerufen. Über einhundert Einsendungen sind erfolgt und fast vierzig Arbeiten wurden für die Ausstellung ausgewählt. Sie beschäftigen sich, so würde ich es als Kulturwissenschaftlerin sagen, mit den Gegenständen und Praktiken materieller Kultur: dem Sammeln, Vergleichen, Ordnen, Zählen, Recherchieren, Montieren und schließlich Präsentieren. Wir bewegen uns in dieser Ausstellung forschend durch das „Dinguniversum“ der HamburgerInnen, sei es im Haushalt, im Stadtraum oder der sogenannten Natur und in einigen Fällen unserer Gedanken und Träume.

Trotzdem zeichnet sich diese Ausstellung durch eine Zugänglichkeit aus, die sofort eigene Erfahrungen anspricht und hervorlockt. Viele unterschiedliche Zugangsweisen von Künstlerinnen und Künstlern zum Thema „nee, ich brauche nicht noch mehr“, so eine andere Interpretationsmöglichkeit, wurden eingereicht. Es ist der Jury gelungen, daraus eine Ausstellung zu kuratieren, die wie ein Atlas unsere Beziehung zur Konsumkultur auffächert. Zu den bearbeiteten Themenfeldern kann man folgende Fragen formulieren:

  • Mit welchen natürlichen oder reichlich vorhandenen Werkstoffen kann ich meine Arbeit umsetzen? In den ausgestellten Werken werden ökologische oder Ressourcenfragen angesprochen und auf alte Praktiken oder eine Zero Waste-Problematik verwiesen. Müll als das Ding zur falschen Zeit am falschen Ort, so eine Definition. Müll kann hier wieder zu einer Ressource werden.
  • Wann ist Müll? Wann entsteht und zerfällt Wert? Wie geschehen Umwertungsprozesse?
  • Welche Gegenstände umgeben mich täglich, wie altern sie, wie verlieren sie an Wert oder wir unsere Beziehung zueinander?
  • Welche unserer irdischen Reichtümer können wir mitnehmen? Mein Leben verschwindet, was bleibt?
  • Was könnte ich alles weglassen, wenn ich nur wollte? Was brauche ich wirklich?
  • Wie sieht das einfache Leben aus?
  • Und schließlich: Wie wichtig sind mir Einkaufen oder allgemein Konsumieren und wer profitiert davon?

Für ihre eigene Recherche in der Ausstellung wünsche ich Ihnen viel Spaß!

1 Hans Peter Hahn (2015) Das Wuchern der Dinge. Über Sachuniversen und die vergessenen Teile unseres Sachbesitzes. In: Sophia Prinz und Hanna Katharina Göbel (Hg.) Die Sinnlichkeit des Sozialen. Transcript, S. 60‐78.
2 Zygmund Baumann (2009) Leben als Konsum . Hamburger Edition.
3 Pierre Bourdieu (2003) Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft . Suhrkamp.
4 Henry David Thoreau (1999) Walden . Könemann.
5 Nach dem Philosophen Arnold Gehlen fehlen dem Menschen beispielsweise die Angriffsorgane oder der Schutz vor Witterung, was uns zu Mängelwesen macht, siehe Arnold Gehlen (2003) Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Aula Verlag.